Jean: Die Hirnblutung war gleichzeitig das Schrecklichste und dennoch das Beste, was mir je passiert ist.

JEAN
JEAN

2014 hat mich aus heiterem Himmel eine Hirnblutung aus dem Leben gerissen. Das war gleichzeitig das Schrecklichste und dennoch das Beste, was mir je passiert ist. Es handelte sich dabei um eine sogenannte S.A.B., also eine Gewebeblutung, die einfach so an einer schwachen Stelle im Gefäßapparat auftreten kann – also etwas Anderes als ein klassischer Schlaganfall. Vielleicht habe ich mal einen Schlag zuviel auf den Kopf bekommen oder es kam vom Headbanging in jungen Jahren, wer weiß das schon? Jedenfalls löst dabei eine kleine Blutmenge auf dem Gehirn einen mechanischen Reiz aus, und als Reaktion stellt das Gehirn erstmal auf „Standby“. So eine Blutung kann dich umbringen, mir hat sie zum Glück nur auf die Motorik geschlagen. Ich dachte erst, dass ich einen Migräneanfall habe, aber dann konnte ich mich nicht mehr bewegen. Es war am ersten Tag einer Tournee, kurz vorm Soundcheck ging es mir überhaupt nicht gut und es wurde immer schlimmer, meine Bandkollegen haben dann glücklicherweise einen Krankenwagen gerufen. Erst als ich aus dem MRT kam und die Ärzte mir sagten „Sie bleiben erst mal hier, Sie hatten eine Hirnblutung“, habe ich verstanden, dass das wirklich was Ernstes ist.

Am nächsten Tag eröffnete man mir, meine Karriere als Musiker sei definitiv vorbei und womöglich würde ich erst nach sechs Monaten wieder laufen können. Mit etwas Glück könne ich irgendwann vielleicht wieder Musik machen, aber nur als Hobby, nicht mehr hauptberuflich. Aber noch während ich das alles hörte, hatte ich schon entschieden, dass das Quatsch ist, was die mir da erzählen. In einer Mischung aus Sturheit und unverbesserlichem Willen beschloss ich, dass das nicht stimmen kann und ich es ihnen schon noch zeigen werde. Nach drei Tagen auf der Intensivstation hab ich wieder angefangen, mich zu bewegen. Der erste Versuch, es vom Bett ins Bad zu schaffen, war unglaublich hart. Doch ab dann ging es jeden Tag ein bisschen besser, und nach sieben Tagen durfte ich das Krankenhaus auf eigenen Wunsch verlassen. Vier Wochen später stand ich wieder auf der Bühne – bei einer ausverkauften Show in der Dortmunder Westfalenhalle.

Wie ich das geschafft habe? Um ehrlich zu sein: Keine Ahnung! Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass mir in meinem Leben einfach schon viel zu oft gesagt worden war, dass ich dies oder jenes unmöglich schaffen kann… und ich es dann allen beweisen will. Da kommt die oben bereits erwähnte Sturheit natürlich wieder ins Spiel.
Außerdem hat sicherlich geholfen, dass mir meine Bandkollegen vom ersten Tag an versichert haben, dass, egal in welchem Zustand ich das Krankenhaus wieder verlassen würde, ich dennoch auch weiterhin einen Platz in unserer Truppe haben würde. Darüber hinaus haben sie mich auch in meiner Abwesenheit voll weiterbezahlt – und das, obwohl ich keine einzige Show der Tour absolvieren konnte.

Die Hirnblutung hat mich also – so makaber das jetzt klingen mag – zum vielleicht bestmöglichen Zeitpunkt getroffen hat, den man sich vorstellen kann. Ungefähr eineinhalb Jahre zuvor hatte ich außerdem nach langer Pause wieder angefangen, Sport zu treiben, nachdem ich in der Zeit davor sehr untätig gewesen war. Auch das hat mir das Leben gerettet. Der Arzt sagte: „Dass Sie so fit sind, hat sie überleben lassen.“ Das hat bei mir ein neues Bewusstsein für mich selbst geschaffen. Ich versuche immer noch, mich gesund zu ernähren, weiterhin regelmäßig Sport zu treiben und auf mich zu achten, hier und da auch mal Ruhepausen einzulegen. Klar esse ich auch mal ein Stück Schokolade oder trinke ein Glas Rotwein, aber eben alles in Maßen.

Dieses Erlebnis hat mir jedenfalls eine Sache bewusst gemacht: Wenn du sowieso von heute auf morgen abtreten kannst – also vom Auto überfahren oder von einer Hirnblutung getroffen werden – dann kannst du auch jeden Tag so verbringen, wie du es magst und mit genau den Menschen, die du gerne um dich hast. Also halte all das, was dir nicht gut tut, am Besten ganz weit von dir weg. Aus diesem Grund habe ich bestimmte Kontakte abgebrochen und aufgehört, so viel zu arbeiten. Zu manchen Zeiten hatte ich das Wochenende über unter Vollgas Konzerte gespielt, teilweise mehrere Shows pro Tag, bin dann montags morgens aus dem Tourbus gefallen, um dann von Montag bis Freitag mehr als 80 Schüler zu unterrichten und anschließend von Freitag bis Sonntag wieder auf der Bühne zu stehen. Das war Raubbau am eigenen Körper! Das kann man eine Zeitlang machen, aber nicht auf ewig.

Auch heute arbeite ich zwar immer noch viel, aber anders als früher und höre viel bewusster auf das, was mein Körper und mein Geist mir an Rückmeldungen geben. Und ja, ich bin insgesamt auch ein bisschen anders geworden als früher, das kommt jedenfalls als Rückmeldung von Freunden. Früher war ich der „Hans Dampf in allen Gassen“, mit großer Klappe, dachte immer: Was kostet die Welt? Eine große Klappe habe ich zwar immer noch, aber ich bin viel fokussierter und ruhiger als früher und mich erschüttert fast nichts. Denn ich weiß jetzt: Wenn alles schief geht, gibt es immer eine Tür, die aufgeht. Meistens die, an die man nicht mal ansatzweise gedacht hat.